Ein zentrales Anliegen der anwendungsorientierten Forschung ist es, den Transfer der wissenschaftlichen Erkenntnis in die Praxis zu schaffen. Die Entwicklung von neuen Ansätzen und Lösungsprinzipien bis hin zum Patent oder zur prototypisch realisierten Erfindung stellt hierbei ein zentrales Element dar. Diese können dann durch unsere Partner aus der Wirtschaft in Form von neuen Produkten und Dienstleistungen aufgegriffen werden, um somit die Mehrwerte aus der Nutzung der Innovation breit verfügbar zu machen. Hier möchten wir Ihnen zwei ausgewählt e Beispiele für Erfindungen und Patente vorstellen:


Situationsangepasstes Nothaltesystem bei E/E Systemausfall im automatisierten Fahrzeug

Im Rahmen des Teilprojekts „Virtuelles Testfeld“ werden Werkzeuge für die Entwicklung und Absicherung hochautomatisierter Fahrfunktionen erarbeitet und konzipiert. Besonderes Augenmerk wird dabei immer auf die Handhabung möglicher Fehlerfälle gelegt. Selbst bei Totalausfahl der elektronischen Systeme (z.B. durch Blitzschlag) muss das automatisierte Fahrzeug noch sicher gebremst werden können. Eine sofortige Vollbremsung kannjedoch erhebliches Risiko von Auffahrunfällen bergen und könnte zu eine unerwünschten Endlage des Fahrzeugs z.B. auf einem Bahnübergang führen.

Daher haben die Projektpartner Fraunhofer IOSB, FZI, KIT-FAST, KIT-IRS und KIT-ITIV gemeinsam die Idee für ein innovatives Nothaltesystem für hochautomatisierte Fahrzeuge entwickelt, welches das Fahrzeug selbst bei plötzlichem vollem Elektrik- und Elektronikausfall, bis hin zum Vollausfall, sicher und situationsangepasst zum Stillstand bringen kann.

So ein “intelligentes” Halte-Manöver (statt einer dynamisch riskanten Vollbremsung) wird erreicht, indem das System vorausschauend arbeitet: Während das Fahrzeug noch funktionsfähig ist, wird die Fahrzeugumgebung mit Sensoren analysiert und eine Vorhersage der aktuellen Situation durchgeführt. Damit wird für den Fall eines sofortigen Systemausfalls eine optimale und an die Situation angepasste Bewegung des Fahrzeugs bis zu einer sicheren Halteposition berechnet. Daraus ergibt sich ein optimaler Bremsdruck, der in rein hydraulisch-mechanischen Komponenten voreingestellt wird; tritt tatsächlich ein gravierender Systemfehler ein, stoppt das Fahrzeug rein mithilfe dieser hydraulisch-mechanischen Komponenten, da diese keinen Strom benötigen. Die gesamte Prozedur wird mehrmals pro Sekunde durchgeführt, um auf neue Informationen der Sensoren reagieren zu können. Damit kann beispielsweise bei freier Strecke bewusst eine geringere Verzögerung, und somit längerer Bremsweg, eingestellt werden – und damitdas Risiko von Auffahrunfällen, Schleudern oder Insassen-Verletzungen minimiert werden. Ein entsprechender Berechnungsalgorithmus berücksichtigt Unsicherheiten über Ausfallzeitpunkt und Verkehrssituation und plant mehrere Schritte im Voraus, ist dabei aber durch mathematische Optimierung auf leichtgewichtiger Hardware echtzeitfähig.

notbrems Hydraulik kleinPrototypischer Aufbau der Hydraulikversorgung für Tests

Die Erfindung wurde gemeinsam von FZI und IOSB unter Listung der Miterfindenden aller Einrichtungen zum Patent angemeldet und zwischenzeitlich mit den Nummern DE 10 2018 218 723 A1 2020.04.30 und WO 2020/089270 A1 offengelegt.

Mit Hilfe der fahrzeugtechnischen Expertise des KIT-FAST konnte im Auftrag des IOSB ein Prototyp entwickelt und im VERTEX-Versuchsfahrzeug des IOSBintegriert werden. Der mechanische Aufbau ist so ausgeführt, dass er weiterhin jederzeit auch eine manuelle Bremsung des Fahrers zulässt.

vertex notbrems 2k 1 kleinVertex Versuchsfahrzeug mit installiertem Nothaltesystem bei Testfahrt

Das System wurde seither in intensiven Testfahrten erprobt und bei verschieden Veranstaltungen der Öffentlichkeit präsentiert. Parallel wurde es auch in Publikationen an die Fachöffentlichkeit beschreiben.

Am KIT-FAST wurde gemäß dem Credo der forschungsorientierten Lehre auch ein Demonstrator des Systems zur Nutzung in Vorlesungen aufgebaut.

Demonstrator Nothaltesystem kleinDemonstrator des Nothaltesystems zum Einsatz in Lehre und Forschung

 

 


Lichtkommunikation für Vernetztes Fahren

Das Initialisierungsprojekt der Profilregion „Automatisierte und autonome Mobilität“ war mitunter der gemeinschaftlichen Analyse von Cyberrisiken bei vernetztem Fahren gewidmet. Ein Schwerpunkt bildete neben der Analyse relevanter Risiken und Angriffsszenarien auch die Entwicklung von Schutzmaßnahmen gegen solche Angriffe.

Vernetztes Fahren ermöglicht durch die Übertragung von Information und Abstimmung eines Handlungsplans kooperative Fahrmanöver mehrerer Fahrzeuge, z.B. ein Ausweichmanöver auf die Gegenspur bei plötzlich auftretendem Hindernis, vor dem nicht mehr rechtzeitig gebremst werden kann. Diese digitale Kommunikation birgt jedoch auch ein Risiko für die Fahrzeugsicherheit, wenn sie durch Angreifer infiltriert wird, die durch manipulierte Funknachrichten (z.B. mit HIlfe eines Laptops oder Smartphones) beispielsweise die Kooperationsbereitschaft eines anderen Fahrzeugs vermitteln, selbst wenn diese Bereitschaft gar nicht gegeben ist.

Forschende des Fraunhofer IOSB haben mit Partnern von KIT und FZI eine effektive Gegenmaßnahme entwickelt, die seriennah und ohne kostenintensiven Hardware-Aufwand in modernen Fahrzeugen implementiert werden könnte: Durch einen redundanten zweiten Nachrichtenkanal über das Flackern von Scheinwerfern (als Sender) und einer kostengünstigen Kamera (als Empfänger) können die komplexen Funknachrichten zur Aushandlung kooperativer Manöver neuartig verifiziert werden. Der Vorteil in der entwickelten Methode liegt darin begründet, dass sie gleichzeitig zur Übertragung von Informationen die Position des Senders erkennbar macht. Somit kann ausgeschlossen werden, dass Dritte sich als ein Fahrzeug über gefälschte Funkkommunikation ausgeben, da die über Funk kommunizierte Position eines Fahrzeugs mit der über die Scheinwerferkommunikation erkannten Position übereinstimmen muss..

Damit das Flackern der Scheinwerfer zur Informationsübertragung einerseits Mensch und Tier nicht beeinträchtigt und andererseits weiterhin die Ausleuchtung der Straße bei Nacht ermöglicht, muss die Information mit einer hohen Flackerfrequenz (mindestens 1000 Hz) übertragen werden. Mit Hilfe einer Hochgeschwindigkeitskamera könnte diese Information klar erfasst und dem Fahrzeug im Bild zugeordnet werden. Da solche Kameras jedoch sehr teuer und damit nicht für einen Einsatz im Automobilkontext geeignet sind, wurde am Fraunhofer IOSB ein Verfahren entwickelt, das die Information über den sogenannten „Rolling Shutter“-Effekt in kostengünstigen CMOS-Kameras sichtbar macht: Hier werden die Bildzeilen leicht zeitversetzt nacheinander ausgelesen, sodass das Signalflackern ein Streifenmuster hinterlässt. Ein optischer Tiefpassfilter verteilt die Information über alle Bildzeilen, sodass jede Pixelzeile zur Datenübertragung genutzt werden kann .

vlc scen 2 1Visualisierung der zeilenweise erfassten Helligkeitsschwankungen von drei Objekten im Bild zur Übertragung von Botschaften

Das System wurde in Form eines Messe-Demonstrators aufgebaut und bei verschiedenen Veranstaltungen (z.B. Jahresveranstaltung des Strategiedialog Automobilwirtschaft) der Fachöffentlichkeit präsentiert.

Messedemonstrator Lichtkommunikation kleinMessedemonstrator, um die grundsätzliche Funktionalität der hochfrequenten Lichtkommunikation zu visualisieren

Zwischenzeitlich hat es auch im VERTEX-Versuchsfahrzeug des Fraunhofer-IOSB seine Praxistauglichkeit nachweisen können.

vlc simreal 1B kleinFoto des Vertex Versuchsfahrzeugs mit zeilenweise ausgelesener Lichtkommunikation des prototypischen Systems

Aktuell werden Gespräche mit verschiedenen Unternehmen aus der Automobilbranche sowie weiteren Forschungspartnern an KIT und HsKA geführt, um das prototypische System in Richtung Serieneinsatz weiterzuentwickeln